Viet Thanh Nguyen DER SYMPATHISANT
„Einige wenige Tage hatte mein Gewissen vor sich hin geschurrt, der Tod des maßlosen Majors lag scheinbar hinter mir, nur noch ein Fleck auf dem Asphalt meiner Erinnerungen im Rückspiegel meines Gedächtnisses.“
Man könnte unendliche viele Formulierungen dieser Art aus dem Buch zitieren. Diese Formulierungen sind es, die einen zuerst überraschen, wenn man sich für dieses Erstlingswerk eines weitgehend unbekannten Autor entschieden hat.
Ein Sprachakrobat, ein linguistischer Ästhet. Ein Autor, der damit genau die Klaviatur perfekt beherrscht, um alles was dann kommt, fesselnd in bunten Bildern zu malen. Bilder, die manchmal Wissen vermitteln, manchmal unterhalten, manchmal zum Lachen bringen, ganz oft aber auch schockieren. Und ganz viel Denkanstösse geben.
Zum Inhalt. Der Protagonist ist der Mann mit zwei Gesichtern und zwei Seelen. Ein Mischling aus einer Nordvietnamesin und einem französischen Pfarrer. Immer und überall ein „Bastard“. Geboren in Nordvietnam, lebend in Südvietnam. In Vietnam kein Vietnamese, in den USA kein Ami. Als Nordvietnamese eigentlich Kommunist, nach dem Studium in den USA aber dem Westen zugeneigt. Spion für Nordvietnam, aber gleichzeitig auch engagierter Adjutant eines südvietnamesischen Generals. Mal gelten seine Sympathien dem Vietcong, mal den Südvietnamesen und Amerikanern. Diese Konflikte, diese Dialektik ziehen sich durch die ganze spannende Geschichte, die einem geheimnisvollen Gefangenenlager einsetzt, dann aber so richtig erst kurz vor dem Fall Saigons einsteigt. Überall ist er beliebt, gehört aber nicht dazu und fühlt sich selbst niemals dazu gehörig.
Nur im vordergründigen Handlungsstrang geht es um die Ereignisse rund um diese Kriegsstage in Vietnam und danach. Die Story und die Erzählweise ist um einiges vielschichtiger.
Berührender sind andere Ebenen z.B. die tiefen Einblicke in die Emotionen eines Menschen, der immer alles von zwei Seiten sieht und sehen muss. Das Aufräumen mit kommunistischen und kapitalistischen Ideologien bei Blick auf den gelebten, realen Alltag und der Menschen im System, die immer die gleichen Wesenszüge zeigen. Die Schilderungen des vietnamesischen Alltages und des vietnamesischen Naturells („die Italiener Asiens“). Die farbenprächtige Schilderung vietnamesischer Landschaften und Städte. Schon dafür ist das Buch lesenswert. Und vieles mehr.
Der letzte Teil mit seinen nicht weniger intensiv geschilderten Torturen im Umerziehungslager ist nicht unbedingt etwas für Zartbesaitete, aber leider ist auch das aktuelle Realität an vielen Orten auf dieser Welt im 21. Jahrhundert.
Fazit: Ein Buch aus der Kategorie absolut lesenswert. Und dieses Urteil fällt man schon, bevor man erfährt, dass Viet Thanh Nguyen für diesen ersten Roman 2016 den Pulitzer-Preis erhalten hat.
Erschienen 2015, deutsche Erstausgabe 2017, Blessing-Verlag