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  • AutorenbildJoachim Materna und Ellen Kuhn

THE NOGUCHI MUSEUM New York


In der virtuellen Welt gibt es keine Zufälle, in der realen dagegen schon. Neben all den renommierten Museen in New York sollte es an diesem Tag etwas abseits des Mainstream sein. Aber als wir nach dem Socrates Sculpture Park im Stadtteil Queens wieder am Tor ankamen, stand da vor allem ein ziemlich enttäuschtes „Ok, war das alles?“ im Raum. Auf der spontanen Umfeldsuche nach der rettenden Kompensation tauchte in Sichtweite, nur einen Block entfernt, das Hinweisschild auf „The Noguchi Museum“ auf. Noguchi? Bildungslücke? Aber warum eigentlich nicht.

Die schnelle Google-Info: „Das Noguchi Museum, eingetragen als The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, ist ein Museum und Skulpturengarten im Stadtteil Long Island City von Queens, New York City, entworfen und geschaffen von dem japanisch-amerikanischen Bildhauer Isamu Noguchi (…) Um das Museum unterzubringen , kaufte Noguchi 1974 eine Tiefdruckfabrik und eine Tankstelle gegenüber seinem New Yorker Studio, in dem er seit 1961 gearbeitet und gelebt hatte. (…) Das Museum mit einer Reihe seiner Skulpturen , Architekturmodelle , Bühnenbilder , Zeichnungen und Möbelentwürfe wurde 1985 eröffnet (…) und 2004 umfassend renoviert.“

Was sich dadurch den Besuchern heute präsentiert, ist der perfekte räumliche Rahmen, um Noguchis Werke und Wirken zu seiner vollen Entfaltung kommen zu lassen.

Die ersten Ausstellungsräume des Museums wirken hallenartig, fast wie in einem die Hitze verbannenden ägyptischen Tempel. Die kühle Atmosphäre hat etwas Sakrales, Würdevolles. Und hier hinein hat man Noguchi’s Steinskulpturen platziert. Trotz ihrer Schwere wirken sie locker, fast luftig, gekonnt über den Raum verteilt. Man spürt eine geheimnisvolle Kommunikation und esoterisch anmutende Interaktion zwischen den Steinblöcken und -skulpturen, die jede für sich faszinierend ist, innehalten lässt. Was hatte der Mann für ein Händchen und ein Geschick bei der Auswahl der jeweiligen Steinarten, bei der Bearbeitung, bei der kreativen Kombination von Oberflächen. Mal spiegelglatt geschliffen, mal unbehauen roh, mal horizontal, mal vertikal. Mal wie scheinbar zufällig, aber doch selbstverständlich mit Holz-Intarsien oder -Kombinationen, mal ergänzt mit dem letztendlich einzig möglichen und passenden Metall in der richtigen Form. Fast nie ins Gegenständliche abdriftend, immer eher abstrakt andeutend, alles offen lassend. Dadurch ein unbegrenzter Spielraum für das Empfinden und die Wahrnehmung eines jeden andächtig davor stehenden oder die Skulptur umkreisenden Menschen. Beim Betreten der Ausstellung und verteilt über die Räume finden sich, wie überall in Museen dieser Welt, immer wieder „Bitte nicht anfassen“-Hinweise, aber so intensiv wie noch nie zuvor hat man permanent das dringende Bedürfnis, diese Werke anzufassen, nicht nur in mentalen, sondern auch in physischen Kontakt zu treten, eine fast magische Anziehungskraft auf die menschliche Haptik.

Die Zen-artige Atmosphäre, die heutzutage von den Kuratoren bewusst herbeigeführt und allenthalben thematisiert wird und die vor allem draußen im dazu gehörenden Skulpturen-Garten unter den Bäumen noch greifbarer ist, war jedoch nicht unbedingt die uneingeschränkte Philosophie Noguchi’s, der die Renovierung durch seinen Tod 1988 nicht erlebte. So gesteht man in einer Begleitbroschüre zu: „ Neben seiner intellektuellen Anziehungskraft auf den Künstler verlieh Zen Noguchi ein spirituelles Profil, ohne sich an ein bestimmtes religiöses Dogma halten zu müssen. Noguchi erklärte: ‚Mit Zen gibt es eine direktere Verbindung zur Kunst als durch andere mystische Formen. Es ist das Geistige als direkte Würdigung der Sache selbst. Es ist wie eine umgekehrte Verbindung: Man kann nicht sagen, ob die Kunst vom Spirituellen kommt oder umgekehrt.’ Die Zen-Praxis erfordert jedoch Zeit und Mühe, sei es in der Meditation oder im Gespräch mit einem Meister, aber für beides hatte Noguchi keine Zeit. Wie bei seinem künstlerischen Engagement konnte er aus dem Zen schöpfen, ohne mit ihm zu verschmelzen. Noguchi scheint ein intuitives Verständnis der im Zen verwendeten Symbole und Metaphern gehabt zu haben, die sein visuelles Vokabular bildeten.“

© The Noguchi Museum

Zeit seines Lebens gehörte Noguchi keiner bestimmten Bewegung an, sondern arbeitete mit Künstlern verschiedener Disziplinen und Schulen zusammen, nahm politische Trends und Thematiken auf und liess sich von den kulturellen Einflüssen auf seinen vielen Reisen beeinflussen. Er nannte sich einen Internationalisten, reiste sein ganzes Leben lang viel. Er arbeitete bei Brancusi in Paris, entdeckte die Wirkung groß angelegter öffentlicher Arbeiten in Mexiko, erdiger Keramik und ruhiger Gärten in Japan, subtiler Tuschepinseltechniken in China und der Reinheit von Marmor in Italien. All diese Eindrücke ließ er in seine Arbeit einfließen, die eine breite Palette von Materialien verwendete, darunter Edelstahl, Marmor, Gusseisen, Balsaholz, Bronze, Aluminiumblech, Basalt, Granit und Wasser. In seinen späteren Jahren unterhielt er Ateliers sowohl in Japan als auch in New York. Durch lebenslanges künstlerisches Experimentieren schuf er Skulpturen, Gärten, Möbel- und Beleuchtungsdesigns, Keramiken, Architektur und Bühnenbilder.

Lässt man diesen Lebenslauf auf sich wirken, eröffnet sich im Museum dieses Mannes, der heute als einer der bedeutendsten und von der Kritik gefeierten Bildhauer des 20. Jahrhunderts gilt, eine neue Dimension der Wahrnehmung. Man spürt förmlich seine Energie, seine unerschöpfliche Schaffenskraft, die sich im Laufe jedes bildhauerischen Prozesses mit der Kraft und Energie des Natursteines fusioniert haben müssen.

Dieses Museum braucht eigentlich keine Erklärung, keinen Guide, keine ablenkenden Broschüren. Man sollte einfach hineingehen - ob gezielt oder zufällig - und alle Sinne öffnen.


Was für ein Zufall, dass wir dieses Kleinod, dieses versteckten Schatz unter den Museen New Yorks entdecken durften. Doch damit nicht genug. Kurz vor Verlassen des Noguchi-Museums entdeckten wir im Skulpturen-Garten eine Freundin aus Bali mit ihrer Tochter, die wir bedingt durch die Pandemie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen hatten, und die nur ganz wenige Tage in der Metropole zu Besuch waren. Zufall oder Serendipität?


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